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Für Menschen wie uns, die keine langen Abschiede mögen, ist dieser Tag eine Qual. Eine Wanderung mögen wir nicht mehr unternehmen; statt dessen schauen wir uns in Quartieren von Nova Sintra um, die wir bisher nicht gestreift haben. Dies auch auf der Suche nach jenem Laden, wo Margrit unterwegs nach Fajã d'Agua Milch kaufte. Wir hoffen, dort Konfitüre zu bekommen, aber der Laden ist unauffindbar. So scheint das, was zu Hause selbstverständlich, hier aber ein Sonderwunsch ist, unerfüllbar zu sein. Vor einem grossen Schulhaus mit der Aufschrift „Escola Materna Maria Imacolada" steht eine Kolonne Knirpse, vielleicht Kindergärtler, in Begleitung mehrerer Frauen. Gegenüber steht eine weitere zweitürmige Kirche, wovon es mehrere verschiedener Glaubensbekenntnisse gibt in diesem Städtchen mit weniger als 2000 Einwohnern. Wir gelangen zurück auf den zentralen Platz, passieren den Baumarkt, eine düstere Halle, wo all die per Schiff angelandeten Dinge zu kaufen sind, die ein modernes Haus ausmachen: Türen, Fenster, Spültröge, WC-Schüsseln und so fort. In der Markthalle, dem wohl modernsten Gebäude des Ortes, gibt es eine obere Etage, wo sich eine Reihe Winzigst-Läden etabliert hat. Alle führen Kleider und Schuhe im Angebot, neu oder gebraucht aussehende - wer weiss das bei „stone washed" Jeans so genau. Auch ein grosser, blitzblanker Coiffeursalon bedient Kundinnen und Kunden. Vermutlich ist er teurer als die „Barberias". Wieder unten, entdecken wir nun am letzten Tag endlich die Ecke hinten in der Halle, wo Brot und Kuchen verkauft werden. Wir lassen uns ein „Pan de Coco" geben, eine Schnecke mit Kokosflocken. Sie wird unser Nachmittagssnack beim Warten aufs Schiff.
Mittagessen noch im Zimmer, Schläfchen, dann ist es 13 Uhr, und wir schleppen unser Gepäck ins Frühstückslokal hinunter. Während sich Margrit zum Lesen auf die sonnige Südveranda setzt, marschiere ich zu jenem Laden zurück, wo wir zwei Packungen Schachtelkäse gekauft haben. Diese waren verdorben und werden anstandslos zurückgenommen, sogar mit einem „desculpe", Entschuldigung. Dann widme auch ich mich einem spannenden Krimi. Als wir das Restaurant-WC aufsuchen wollen, schrecken wir zurück: Verdreckte Schüssel und widerlicher Gestank. Als Marco erscheint, um eine der zwei „Suiten" zu putzen, mache ich ihn auf den Missstand aufmerksam. Ja, dieses WC sei „out of order"; er werde einen Zettel anbringen. Marcos eher lockeren Begriff von Sauberkeit haben wir auch in unserem Zimmer und beim Frühstück festgestellt, wo der Staub auf den Deckeln der Zuckerdosen vom letzten Jahr stammen dürfte und die Tassen auf jener Seite Schmutzränder aufweisen, wo die Gäste sie an die Lippen führen. Wir verwendeten unsere eigenen Tassen.
Um 15 Uhr iessen uns Margrit und ich samt Gepäck auf einer Maurer vor dem Hotel nieder, denn für diese Zeit hatte Marco ein Aluguer angekündigt. Das Schiff sollte um 15.30 Uhr ankommen, und so spähte ich schon mal mit dem Feldstecher aufs Meer hinaus. Im Dunst schwach erkennbarer Wellenschaum ist aber alles, was ich ausmachen kann. Es wird halb vier Uhr, schiesslich vier Uhr. An der Anlegestelle im Hafen liegt seit dem Morgen ein kleiner Frachter und macht keine Anstalten abzulegen. Es macht das Gerücht die Runde (Sergio, ein italienischer Gast, habe bei der Schiffsagentur angerufen), die Fähre komme von Praia via Fogo und treffe erst um 18 Uhr hier ein. Na toll, das wären dann mehr als zwei Stunden Verspätung. Dann wieder heisst es, nein, das Schiff komme direkt von Praia hierher. Wir sind inzwischen ziemlich genervt, denn die Verspätung bedeutet, dass wir nicht vor ca. 19 Uhr in São Filipe sein werden und wohl erst gegen 21 Uhr in der Caldera! In São Filipe werden dann die Läden schon zu sein und wir werden weder Orangen noch Käse und Konfitüre kaufen können - saublöd!
16 Uhr. Jetzt rumpelt ein Minibus heran, und eine Viertelstunde später sitzen wir wieder auf einer Mauer, nun am Hafen. Das Gerücht „Ankunft des Schiffes um 18 Uhr" wird von unserem Aluguerfahrer bestätigt. Wir unterhalten uns mit deutschen Touristen, und ab halb sechs Uhr suche ich mit dem Feldstecher den Horizont ab. Am Hafen gibt es keine Toilette; Bedürfnisse müssen hinter den Felsen an der Hafeneinfahrt befriedigt werden. Dann endlich: Ein weisser Punkt in Sicht, der sich schnell vergrössert. Dann die umständliche Wende-Landung der „Libertad". Eine erstaunlich grosse Menge Passagiere hat sich eingefunden und bildet ein grosses Gedränge an der herabgelassenen, schmalen, rostigen Rampe. Margrit will, dass wir uns ebenfalls vordrängen. Tickets werden nur bei den ersten Leuten kontrolliert, die Touristen werden dann alle ohne Kontrolle an Bord geschleust - es muss jetzt plötzlich schnell gehen. Unser Gepäck wird uns abgenommen und verschwindet irgendwo im Bauch des Schiffes. Im Fahrgastraum sind schon viele Plätze besetzt von jenen, die in Praia eingestiegen und wohl schon drei Stunden an Bord sind.
Erstaunlich rasch legt das Schiff ab, und nun beginnt eine Fahrt, die im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen ist, auf jeden Fall für mich, denn das furchtbare Geschaukel macht mich trotz geschluckter Pille seekrank, und ich muss den Plastikbeutel benützen, der an jeder Sitzlehne hängt. Widerlich und das erste Mal seit vielen Jahren, dass mir das passiert. Als wir um 19 Uhr anlegen, ist es Nacht. Ein Mann mit einem Schild, auf dem „GEELER" steht, ist unter den Wartenden. Wir folgen ihm zum Taxi und werfen die kleinen Gepäckstücke hinein. In dem furchtbaren Chaos auf dem Platz suchen wir nach unseren Koffern - sie sind nicht auffindbar. Schliesslich müssen wir ins Schiff zurück und sie selbst aus dem Laderaum holen. Es wird halb acht Uhr, bis das Taxi endlich losfährt. Der Fahrer kennt zum Glück einen Laden, der noch offen ist. Orangen gibt es nicht, aber wenigstens Ziegenkäse und einen Schoko-Brotaufstrich. Dann die lange Fahrt hinauf zum Vulkan. Immer wieder tauchen die Lichter von kleinen Dörfern auf, auch auf grösserer Höhe. Die Strasse ist zum Glück grössenteils geteert. Die Tafel „Parque Natural" taucht auf, dann beginnt es zu rattern: Kopfsteinpflaster. Aber bald sagt der Fahrer, hier ende die alte Strasse seit dem Ausbruch von 2014, und biegt auf eine Sandpiste ab. Um tausend Kurven und mit vielem Auf und Ab geht es schaukelnd durch die halbwegs mondhelle Nacht. Schliesslich Lichter: „Casa Marisa" sagt der Fahrer. Noch ein rumpelnder kurzer Anstieg, und wir sind da. Mustafas Frau Marisa empfängt uns überfliessend liebenswürdig und führt uns, nachdem ich meinen Namen auf ein Formular geschrieben habe, in unser Zimmer. Es ist jenseits eines weiten Innenhofes. Wir sollen nachts die Tür und das Fenster offen lassen, rät Marisa, und wir merken gleich warum. Das Hotel hat eine natürliche Bodenheizung: Der Lavastrom von 2014, auf dem es steht, ist noch warm! Ein eigenartiger, undefinierbarer Geruch empfängt uns. Wir wohnen auf frischer Lava - ein neues, prickelndes, etwas unheimliches Erlebnis. Manchmal mache es „bumm-bumm", sagt Marisa, das sei nur die Lava und kein Grund zu Beunruhigung. Doch, wir könnten noch ein Abendessen haben, sie habe „Guzpacho" (oder ähnlich), Bohnen und Gemüse mit Fleisch, dazu Reis. Wir begnügen uns mit einer halben Portion der leckeren Mischung.
Um 10 Uhr liegen wir im bequemen Bett, Tür und Fenster nur mit einem Vorhang verhängt. Kühle Luft zieht durch den Raum, und wir versuchen einzuschlummern.
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